Die große Fahrt
Am Ende des Jahres 2002 besuchten meine Frau und ich den Galeristen Jürgen Meyer in Lüneburg. Wir holten einige Bilder ab, redeten und aßen zusammen Mittag. Zum Abschied gab er mir einen selbstverfassten Text, in dem er gegen den Irakkrieg protestierte.
Trotz gegenteiliger Meinung erfasste mich eine Woge der Sympathie. Auf der Rückfahrt beschloss ich, ihn mit einem Bild zu ehren. Herr Meyer war früher Kapitän gewesen, daher lag es nahe, ein Bild mit Schiffen zu malen. Da meine Frau fuhr, konnte ich sofort eine kleine Skizze auf einer alten Fahrkarte machen. Dabei spielten einige Schiffe im Vordergrund und eine Flasche Leuchtturmschnaps im Hintergrund eine gewisse Rolle. Zuhause angekommen, vergaß ich dieses Vorhaben. Einige Monate später kam ich in Berlin an einem Kinder-Trödelmarkt vorbei. Dort erstand ich zwei entzückende bunte Spielschiffchen. Diese lagerte ich im Atelier und ließ die Sache ruhen. Einige Monate später fuhr ich mit Hans-Otto Schmidt und Christopher Lehmpfuhl für einige Tage an die Nordsee ins Wangerland. Dort fand ich in einem Fischladen eine faszinierende große Krabbe. Mitte 2004 bekamen wir Besuch von lieben Freunden aus Berlin. Diese haben einen kleinen Sohn, der flugs die Schiffchen entdeckte und einige Zeit damit spielte. Dabei spielte ein roter Playmobil-Mann mit schwarzem Jäckchen die Rolle des Kapitäns. Dieser wurde stehend auf dem grünen Containerschiffchen vergessen. Das gefiel mir so gut, dass ich es mir merkte und später als zentrales Motiv benutzte. Ein Jahr später bekam ich durch eine Verquickung glücklicher Umstände die Gelegenheit, ein halbes Jahr mit einem Stipendium in einem Haus an der Steilküste von Nienhagen zu arbeiten. Gerne hätten die Stipendiengeber es gehabt, wenn der Künstler Anregungen des Ortes in seine Arbeit einfließen ließe. Am Strand fand ich eine skandinavische Waschmittelflasche (Vel) und eine russische Wodkaflasche. Zu Studienzwecken hatte ich die dort reichlich vorkommenden Heckenrosen und Holunderbüsche geplündert. Im August fand im nahe gelegenen Rostock die Hanse-Sail statt. Dabei tummelten sich vor meinem Fenster in einiger Entfernung hunderte Schiffe auf der Ostsee. Ich beschloss, endlich das kleine Schiff-Stillleben aufzubauen. Ich machte eine Skizze, ließ es stehen und malte die anderen Bilder, an denen ich arbeitete fertig. Es wurde Oktober. Meine Frau brachte unsere erste Quittenernte sowie einen prächtigen Kürbis und forderte mich auf, diese zu malen. Da die Zeit in Nienhagen sich dem Ende näherte, musste ich bedauernd ablehnen. Doch plötzlich fiel mir auf, dass das herrliche Gelbgrün der Quitten wunderbar gegen das Blau des Tuches stand, auf dem ich meine Schiffe platziert hatte. Also belud ich mein rotes Schiff, auf dem ohnehin genug Platz war, mit den goldgrünen Früchten. Einige landeten in den Fängen der gierigen Krabbe, und eine kurz vor der Tischkante, an dem das Meer in die Tiefe stürzte. Wir tauften das Bild „Seeschlacht mit Quitten.“ Nun begann ich, ernsthafte Studien zu machen. Ich suchte eine passende Leinwand, entschied mich für ein leichtes Hochformat und baute noch ein paar Mal um. Zuletzt ersetzte ich die Wodka- durch eine Fitflasche und erhöhte die weiße Vel-Flasche etwas. Nun war die Vorlage perfekt. Ich arbeitete mit großer Entschlossenheit und Freude. Durch das Entgegenkommen der Stipendiengeber konnte ich noch etwas länger bleiben, und so schloss ich die Arbeit an dem Bild Mitte Januar ab. Im September 2006 wurde es in Berlin in der Galerie Taube gezeigt. Wir beschlossen, es als Motiv für die Einladungskarte zu verwenden. Als einige Zeit später das Plakat für die Ausstellung gemacht wurde, erschien mir der Titel zu pathetisch. Ich bezeichnete es etwas lakonischer als „Die große Fahrt“.