Über Symbole – Der Traum von Arkadien
Das Stillleben ist ein Ort, an den die Seele des Betrachters sich, nicht ohne die nötige Vorsicht, zurückziehen kann.
In seiner Novelle „Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath“ beschreibt der amerikanische Dichter H. P. Lovecraft(1890-1937) die Suche des Helden nach dem mythischen Wohnsitz der Götter. Als er ihn nach langer Reise durch unglaubliche Abgründe endlich gefunden zu haben glaubt, erweist sich die gepriesene Traumstadt als die vom Abendsonnenglanz vergoldete Stadt seiner Kindheitserinnerungen.
Im Winter des Jahres 1992 befand ich mich in Ravenna, der Stadt der uralten Kirchen, mit ihren farbenglühenden Mosaiken. Ich war der Frage auf der Spur, ob, wie behauptet Giotto tatsächlich der Uranfang der neuzeitlichen Malerei war, oder ob er vielmehr auch ein Fortsetzer einer sehr viel älteren Tradition gewesen sei; und wenn wie weit sich diese wohl zurückverfolgen ließe?
Im Dezember 1992 befand ich mich wohl zwei oder drei Wochen in der nebligen Stadt am Po-Delta, als ich eines Tages ziellos die Stadt durchstreifte. Aus meinem Quartier in der Via redipuglia spazierte ich in Richtung des Domes. Dazu musste ich ein altes Stadttor durchqueren, die Porta Gaza. An dieser Stelle hatte ich plötzlich Inbilder vier elementarer Bedeutungsformen, die seit dem unumstößlich zu meinem Arsenal gehören. Es waren diese: ein würfelartiges Haus, ein pinienförmiger Baum, ein hochrechteckiger Turm und ein pyramidaler Berg.
Zu dieser Zeit interessierte mich die Darstellung von Gegenständen in meinen Bildern überhaupt nicht. Aus der DDR kommend, verabscheute ich mit der ganzen Inbrunst meiner Jugend alles Realistische, in der Kunst die ich als sozialistisch und darum historisch gesetzmäßig richtig kennen gelernt hatte. Meine damaligen Lieblinge waren Wols und Pollock, denn sie bedeuteten scheinbar Freiheit.
Nun geschah folgendes. Diese Ideen kreuzten sich mit meiner damaligen Bildwelt zu kuriosen Bastarden voller überflüssiger, manierierter Wucherungen. Im Laufe der drei Monate, die ich in Ravenna war, entkleideten sich diese Ideen bis auf ihren nackten, geometrischen Kern. Nachdem ich sie nun von Schnörkeln befreit hatte, konnte ich mit diesem Fundus jonglieren und ihn so zu Landschaften kombinieren. Was mir noch fehlte, war ein Mittel diesen Ideen plastische Wucht zu verleihen. Nach meiner Rückkehr zeigte Professor Volker Stelzmann mir dieses, es war das Licht und wie man damit umgehen könne.
Von dort war es nur noch ein kleiner Schritt zu begreifen, das eine Milchverpackung grundsätzlich einen Turm, eine Schachtel zum Beispiel ein Gebäude repräsentieren kann welches außerdem den Vorteil besitzt beobachtbar zu sein. So kommen wir nun zu den Zusammenstellungen von Dingen, Stillleben genannt. Vor jedem „Stillleben“ steht die Imagination. Dennoch ist es auch möglich, zufällige Beobachtungen, wie zum Beispiel unvermutete Formen, Farben und Lichtzusammenhänge, zu verarbeiten, entsteht dabei doch immer eine reizvolle Reibung zwischen Idee und Erscheinung. Es ist dabei möglich, den Zufall in den eigenen Bildkosmos zu integrieren, und dadurch den Ideen Leben, und dem Zufall Dauer zu verleihen.
Die letzten Überlegungen zeigen, warum mir nicht daran gelegen sein kann, die Dinge allzu real erscheinen zu lassen, sollen sie doch schweben in einem Zwischenreich.
So werden meine Bilder mit Hilfe der Realität zu farbenglühenden Palästen der Phantasie, die schroff mit der Wirklichkeit kontrastieren.
Lars Lehmann, 17. Mai 2005 Erschienen im Katalog zur Jahresausstellung Künstlersonderbund „Kythera“, 2005